Zeitschrift ‚prävention’

Manuskript Zeitschrift Prävention und Gesundheitsförderung (Rubrik Leitthemen) Hochschule Luzern - Soziale Arbeit, Institut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention Ethik in Prävention und Gesundheitsförderung
Ethics in prevention and health promotion Hintergrund: Prävention und Gesundheitsförderung sind wie die kurative Medizin immer
wieder mit Werten konfrontiert, die zueinander in einem Widerspruch stehen – etwa den Werten der individuellen Freiheit und der Gesundheit. Vorgehen: Auf der Basis der soziologischen Systemtheorie werden die Grundzüge einer
Präventionsethik erarbeitet und anhand von ethischen Fragestellungen aus Praxis reflektiert. Ergebnisse: Im hier vorgestellten systemtheoretischen Verständnis ist Ethik keine überge-
ordnete Form von Moral, die vorgibt, wie die Wertekonflikte gelöst werden sollen. Vielmehr wird Ethik als Haltung verstanden, die erlaubt, in konkreten Situationen konkrete Wertfragen zu stellen und für die gefundenen Antworten die Verantwortung zu übernehmen. Schlussfolgerung: Da Prävention und Gesundheitsförderung immer wieder mit ethischen
Fragen konfrontiert werden, ist bei der Konzeption von Projekten konsequent darauf zu ach- ten, dass diese Fragen von den Beteiligten systematisch ausdiskutiert werden. Schlüsselwörter: Prävention, Gesundheitsförderung, Ethik, Moral, Werte, Systemtheorie Background: As in curative medicine prevention and health promotion are often confronted
with conflicting values, for example the values of individual freedom and health. Method: On the basis of the sociological systems theory the basics of ethics in prevention
and health promotion are elaborated and reflected with regard to ethical questions that are Results: In the systems theoretic understanding presented here ethics is not a higher form
of morale that determines how these value-conflicts are to be solved. Ethics is rather under- stood as an attitude that allows the professionals to ask concrete questions in concrete situa- tions and to take the responsibility for the answers they find. Conclusion: Since prevention and health promotion are often confronted with ethical ques-
tions it is vital that these questions are systematically discussed by everyone involved in the Key words: prevention, health promotion, ethics, morale, values, systems theory Fachleute der Prävention und Gesundheitsförderung werden immer wieder mit Fragen der Wertung, der Normativität der Moral und der Ethik konfrontiert. Dies gilt nicht nur für aktuell heftig diskutierte Themen wie pränatale Diagnostik, Gendiagnostik oder Genmanipulation zur Verhinderung von Krankheiten, sondern auch für ‚alltägliche‘ Präventionsmassnahmen wie der Einführung von Gesetzen zur Einschränkung des Rauchens oder von Werbeverboten für Alkoholika. Auch hier geht es um Wertefragen und Wertekonflikte – etwa den Konflikt zwi- schen dem Wert der individuellen Freiheit und dem Wert der Gesundheit. Dieser Text hat zum Ziel, die Form und die Funktion einer Ethik von Prävention und Gesundheitsförderung herauszuarbeiten. Ausgangspunkt dazu bilden einige grundsätzliche Aspekte von ethischer Bedeutung. Nachfolgend erfolgt die Bestimmung der Form und der Funktion von Ethik und der mit ihr verbundenen Konzepte (Moral, Werte, Normen) mit den Mitteln der soziologischen Systemtheorie [7,9]. Schliesslich werden konkrete Fragestellungen aus der Praxis von Ge- sundheitsförderung aufgenommen. Dabei geht es nicht darum, endgültige Antworten auf diese Fragen zu finden. Vielmehr soll gezeigt werden, wie eine systemtheoretisch geprägte Ethik genutzt werden kann, um sich mit diesen und anderen Fragen reflektiert auseinander- Prävention und Gesundheitsförderung nutzen einen (man könnte fast sagen: diabolischen) Mechanismus, den Fuchs [2] als ‚Risiko-Ignoranz-Risiko‘ bezeichnet: Dadurch, dass die Prä- vention zukünftige Gefahren in Bezug zu gegenwärtigen Entscheidungen setzt, transformiert sie diese Gefahren zu Risiken, denen man vorbeugen kann [3,6]. Entscheidet man sich ge- gen die Vorbeugung und nimmt das Risiko in Kauf, sieht man sich beim Eintreten des Prob- lems (z.B. einer Krankheit) rasch mit dem Vorwurf konfrontiert, dass man sich hätte schützen können/sollen. Dieser Mechanismus setzt Individuen und Organisationen unter Entschei- dungs- und Rechtfertigungsdruck. Zudem schliesst er an der Grundbefindlichkeit der Angst der modernen Gesellschaft an [5] an und fördert die Zukunfts- und Risikoorientierung, die für diese Gesellschaft typisch und in vielerlei Hinsicht problematisch ist. Das Perfide daran ist, dass es äusserst schwierig ist, sich diesem Mechanismus zu entziehen. Sobald man Verhin- derungsmöglichkeiten kennt, ist man entweder dem Risiko (der Krankheit, des Unfalls, des Schadenfalls) oder dem Risiko-Ignoranz-Risiko ausgesetzt. Das ‚Nichtwissen‘ der Zusam- menhänge zwischen drohendem Problem und Schutzmöglichkeiten wird immer schwieriger, da man über die Massenmedien und im persönlichen Kontakt unablässig mit entsprechen- den Informationsmöglichkeiten konfrontiert wird. Ein ‚Recht auf Nichtwissen‘, wie es im Kon- text der Diskussion um die Gendiagnostik gefordert wird, ist daher kaum durchsetzbar – um- so mehr, als es fast für jeden Menschen Risiken gibt, vor denen er sich sehr wohl schützen möchte und sich entsprechend aktiv um Schutzmöglichkeiten kümmert. Eine weitere Konsequenz der zunehmenden Präventionsperspektive sind die Folgerisiken der Risiko-Vermeidung. Diese ergeben sich, wenn präventive Massnahmen selbst das Auf- treten eines Problems begünstigen und so unerwünschte Nebenwirkungen erzeugen. Das ist z.B. der Fall, wenn in pädagogischen Kontexten im Sinne der Unfallprävention die Hand- lungsfreiheit von Kindern und Jugendlichen übermässig eingeschränkt wird. Sie dürfen den Schulweg dann nicht mehr zu Fuss zurücklegen, sondern werden von Eltern in die Schule gefahren. Oder es wird ihnen verboten, im Schulareal auf Bäume zu klettern oder in der Pause das Rollbrett zu benutzen. Dadurch bleiben ihnen Erfahrungen verwehrt, die für ihre körperliche, psychische und soziale Entwicklung von Bedeutung sind. Dass dieses Sicher- heitsdenken immer häufiger überhandnimmt, hat in der Regel nur beschränkt mit den Päda- goginnen und Pädagogen zu tun. Vielmehr ist es dem Umstand zuzuschreiben, dass die Organisationen, in denen sie angestellt sind, (bisweilen durchaus berechtigt) befürchten, dass sie die Verantwortung zugeschrieben bekommen, wenn ein Unfall passiert. Die Eltern wiederum stehen selbst unter einem enormen Druck, die Sicherheit ihrer Kinder zu gewähr- leisten – gerade auch wegen der Selbstvorwürfe, die man sich macht, wenn das eigene Kind bei einem Unfall stirbt oder schwer verletzt wird. Für die negativen Folgen der eingeschränk- ten Handlungs- und Bewegungsfreiheit können weder die Eltern, die Organisationen noch die professionell Erziehenden verantwortlich gemacht werden, da die entsprechenden Ent- wicklungsprozesse zu langfristig und zu komplex sind und sie ja ‚im besten Wissen und Ge- wissen‘, d.h. im Sinne der Sicherheit gehandelt haben. Aus ethischer Sicht stellt sich weiter die Frage, inwiefern Prävention und Gesundheitsförde- rung nicht zur gängigen Glorifizierung von Gesundheit und damit im gleichen Zug zur Diabo- lisierung von Krankheit beitragen – mit allen negativen Folgen für die Menschen, die dem Gesundheitsideal nicht entsprechen. Gerade die positiven, von der An- und Abwesenheit von Krankheit scheinbar losgelösten Gesundheitskonzepte wie das Konzept der positiven Ge- sundheit von Seligman [10] und auch das Salutogenese-Konzept von Antonovsky [1] laufen tendenziell auf eine Diskreditierung von Formen psychischen Erlebens hinaus, die als nega- tiv empfunden werden. Durch das unablässige Ringen um Optimismus, Glück, heitere Ge- mütsverfassung, Zufriedenheit, Wohlbefinden, positive Lebenseinstellung etc. werden die gegenteiligen Erlebnisqualitäten (Pessimismus, Unglück, Melancholie, Unzufriedenheit, Un- wohlsein, negative Lebenseinstellung etc.) ähnlich diskreditiert wie die Krankheiten. Die Ein- nahme von Medikamenten wie ‚Prozac‘ zur ‚Verbesserung‘ der Erlebnisqualität ist wird dann zu einer Art ‚Normalität‘ – nicht zuletzt, weil man sich es (gerade in der Arbeitswelt) kaum noch erlauben kann, ‚schlecht drauf‘ zu sein. Dabei wird gerne ausser Acht gelassen, dass die Qualität des positiven Erlebens immer auch aus der negativen Seite der Unterscheidung speist, in die das Positive eingebettet ist: Je normaler Gesundheit, Glück, Sicherheit, Opti- mismus etc. werden, desto sensibler reagiert man auf das Erleben von Krankheit, Unglück, Es geht bei dieser Argumentation überhaupt nicht darum, negativ konnotierte Phänomene wie Krankheiten, Sucht, Gewalt, Unglück etc. zu verherrlichen. Vielleicht müsste man aber der Auseinandersetzung mit diesen ‚negativen‘ Aspekten (wie auch der Auseinandersetzung mit dem Tod) in der individuellen Wahrnehmung und im sozialen Diskurs wieder mehr Raum schenken und sie (wieder) vermehrt als unvermeidliche Aspekte menschlichen (Er-)Lebens betrachten. Die unterscheidungstheoretische Begründung dieser Haltung lässt sich am Bei- spiel des Gesundheitsbegriffs ausführen [4,11]: Gesundheit wäre ohne Krankheit als Gegen- seite genauso wenig erkennbar wie ‚Wohlbefinden‘ ohne die Möglichkeit von ‚Unwohlsein‘. Und auch das Leben definiert sich letztlich über die Abgrenzung vom Nicht-Leben – dem Tod. Ein positiver Nebeneffekt einer solchen unterscheidungstheoretisch begründeten Be- trachtungsweise wäre wohl die (heute notwendige) Erkenntnis, dass Gesundheit, Wohlbefin- den, Sicherheit, Optimismus nicht einfach ‚auf Knopfdruck‘ (etwa durch die Einnahme von Medikamenten) ‚hergestellt‘ hergestellt werden können. Es handelt sich um ‚systemische‘ Phänomene, die von zahllosen Faktoren abhängig sind, und es in der Regel so, dass zu ein- dimensionale Verbesserungsstrategien Nebenwirkungen mit sich bringen, welche die Prob- lemlösung schnell selbst zu einem Problem machen können. Die Beispiele zeigen, dass es gute Gründe gibt, sich in Prävention und Gesundheitsförde- rung mit ethischen Fragen auseinander zu setzen. In diesem Text geht es darum zu schau- en, wie die Konzepte der Moral, der Werte und der Ethik aus systemtheoretischer Sicht be- schrieben werden. Beginnen wir dem Kommunikationsmedium der Moral, das in Prävention und Gesundheitsförderung (wie in der Erziehung, der Sozialen Arbeit oder der Nachhaltigen Entwicklung) immer wieder eingesetzt wird, um erwünschtes Verhalten zu erreichen. Eine Kommunikation nimmt nach Luhmann [9] dann „moralische Qualität an, wenn und insoweit sie menschliche Achtung und Missachtung zum Ausdruck bringt. Dies kann direkt durch Lob oder Tadel geschehen, wird zumeist aber implikativ mitgeteilt, das heisst durch Hinweis auf Bedingungen, die regeln, welche Ansichten und welche Handlungen Achtung oder Missach- tung verdienen.“ In kleineren (segmentären) Gesellschaftsformen ist das Risiko, mit morali- scher Kommunikation zu scheitern, nach Luhmann (S. 362f.) noch relativ gering, da die Be- dingungen für Achtung und Missachtung sozial eng eingegrenzt sind und daher relativ le- bensnah behauptet werden können. Das ändert sich, wenn die Gesellschaftsformen komple- xer werden und man die Personen nicht mehr kennt, die man mit Moral überzieht. Moralisie- rende Kommunikation ist unter diesen Bedingungen nicht in der Lage, Verhalten zu erzwin- gen oder gar Menschen vollständig aus der Kommunikation auszuschliessen (zu exkludie- ren). Sie kompensiert diese Unmöglichkeit durch ihre Emphase, ihren Eifer, ihre Aufdring- lichkeit und die Verachtung der Personen, die ihr keine Folge leisten (S. 368). In Prävention und Gesundheitsförderung wie auch in der Nachhaltigen Entwicklung drückt sich diese Em- phase [13, S. 82f.] durch die massenhaften Appelle aus, in denen mit Nachdruck ‚korrektes‘ (gesundes, umweltschonendes) Verhalten eingefordert wird. In der professionellen Praxis zeigt sich (wie im Alltag auch), dass die systematische Nutzung von moralischer Kommunikation als Präventionsmethode wenig Erfolg und einige Nebenwir- kungen verspricht. Natürlich kann die Kommunikation mittels moralisierender Appelle oder gar die Androhung von Missachtung in Einzelfällen Wirkung zeigen; sie birgt aber auch die Gefahr von Widerstand und Konflikt in sich, die Gefahr eines ‚Jetzt-erst-Recht’ – insbesonde- re, wenn man bedenkt, dass die durch die Moral formulierten Bedingungen für Achtung und Missachtung auf Symmetrie basieren, also für beide Seiten Geltung haben [9, S. 366]. Damit kommt - gerade im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen - die Vorbildwirkung ins Spiel, denn man ist kaum glaubwürdig, wenn man Wasser predigt und selbst Wein trinkt. Natürlich kann es nicht darum gehen, dass in Prävention und Gesundheitsförderung nicht mehr zwischen ‚gut’ und ‚schlecht’ unterschieden wird. Der Einwand lautet vorerst lediglich, dass einzelne Verhaltensweisen nicht zu generalisierenden Verurteilungen der ganzen Per- son durch Verachtung führen sollten (nach dem Motto: Raucher sind willensschwach). Eine nahe liegende – nicht nur in der Pädagogik immer wieder geäusserte – Empfehlung wäre dann, nicht die Person als Ganze mit Missachtung zu strafen, sondern lediglich einzelne Verhaltensweisen zu verurteilen und den übrigen personalen Aspekten mit angemessenem Respekt und Wertschätzung zu begegnen. Wie schwierig das bisweilen auch für Fachleute sein kann, zeigt sich am Beispiel von gesellschaftlich hoch-problematisierten Handlungen wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern oder dem Handel mit illegalen Drogen. Doch auch in diesen Fällen wäre anzustreben, die zu Verfügung stehenden (insbesondere rechtli- chen) Sanktionsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf eine moralisierende Entwertung der betreffenden Person zu vermeiden. Die mit der moral-bedingten Verurteilung verbundene Adressenbeschädigung fördert die Exklusion dieser Personen, und nicht Exklusion, sondern langfristige Re-Inklusion ist das Ziel eines auf Demokratie begründeten Rechtssystems. Ähnlich wie bei der Moral liegt der Fall bei den Werten: Werte sind nach Luhmann [7] „allge- meine, einzeln symbolisierte Gesichtspunkte des Vorziehens von Zuständen oder Ereignis- sen“, die sich in Präferenzen bei der Wahl von Handlungsalternativen niederschlagen. Da sich Werte wie Freiheit, Sicherheit oder Gesundheit nicht in eine allgemein gültige (‚objekti- ve‘) hierarchische Ordnung einbetten lassen, werden sie durch einzelne Beobachter (Indivi- duen, Organisationen und andere Systeme) in bestimmten Situationen individuell festgelegt. Mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft vervielfältigen sich die Perspek- tiven und damit auch die Werthaltungen. Wir haben es entsprechend in der (post-)modernen Gesellschaft nicht mit einem Werteverlust, sondern mit einer Multiplikation und Diversifizie- rung von Werten zu tun. Das hängt auch damit zusammen, dass es in der funktional diffe- renzierten Gesellschaft keine Instanz mehr gibt (wie die Kirche mit Referenz auf ‚Gott‘ im Mittealter), die bestimmen könnte, welche Werte die richtigen und welche die falschen sind. Und schliesslich wird die Wertepluralität durch den Umstand gefördert, dass Werte auch strategisch eingesetzt werden. Freiheit für Autofahrer oder Konsumentinnen ist dann etwa im politischen Diskurs etwas ganz anderes als Freiheit für Asylsuchende oder politisch Anders- Diesen Ausführungen entsprechend können sich auch die Fachleute in Prävention und die Gesundheitsförderung nicht auf die Existenz übergeordneter Werte verlassen. Vielmehr müssen sie die für sie geltenden Werte laufend neu definieren. Dabei tun sie gut daran, ihre persönlichen Wertvorstellungen den Wertvorstellungen ihrer Zielpersonen nicht einfach un- gefragt überzuordnen, sondern sie (die Personen) in den Diskussionsprozess über die gel- Normen und Gesetze als Resultat soziale Aushandlungsprozesse Ähnlich liegt der Fall bei den Normen. Normen sind soziale Strukturen, an denen nach Luh- mann [7, S. 437] auch im Enttäuschungsfall festgehalten wird. Diese Strukturen regulieren das Verhältnis von Konformität und Devianz. Sie etablieren sich in sozialen Systemen durch Aushandlungsprozesse und gründen zentral auf den durch die Mehrheit vertretenen Werten und Moralvorstellungen. Sie sind aber beständiger als diese - insbesondere wenn sie in Form von Gesetzen gebracht werden. Normen und Gesetze sind in der Prävention weit effi- zientere Steuerungsmedien als moralisierende Appelle oder Sensibilisierungskampagnen [3, S. 251f.]. Voraussetzung für die Wirksamkeit von Normen und Gesetzen zur Steuerung von Verhalten ist jedoch, dass sie kontrolliert werden und dass ihre Verletzung sanktioniert wird. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, etwa weil eine Kontrolle nicht möglich oder eine Sankti- on zu aufwendig ist, so verringert sich das Steuerungspotenzial. Das ist auch ein Grund da- für, dass Normen und Gesetze nur mit Zurückhaltung eingesetzt werden sollten. Ein weiterer Grund für einen zurückhaltenden Einsatz dieser Steuerungsmedien in der Prävention ist, dass die hinter den Normen und Gesetzen stehenden Werte (z.B. Ordnung) schnell in Wi- derspruch mit andern Werten (etwa dem Wert der Freiheit) geraten. Ethik als Reflexionstheorie von Moral, Werten und Normen Die hier verfolgte Argumentationslinie lautet also zusammengefasst, dass die Fachleute in Prävention und Gesundheitsförderung weder darauf verzichten können, zwischen ‚gut’ und ‚schlecht’ zu unterscheiden, noch dass sie ‚wertfrei’ oder gar ‚normenfrei‘ handeln sollen. Vielmehr sind sie angehalten, die Werte und Bewertungen immer wieder kritisch zu hinter- fragen. Diese reflektierende Haltung lässt als Ethik von Prävention und Gesundheitsförde- rung bezeichnen – zumindest wenn man dem systemtheoretischen (oder Luhmannschen) Ethikverständnis folgt. Nach diesem Verständnis bietet sich an, Ethik als ‚Reflexionstheorie der Moral‘ zu konzipieren [9, S. 360]. Eine Präventionsethik in diesem Sinn sollte weniger zur Begründung der moralischen Hal- tung, der Werte und der Normen angeführt werden, die in die Programme und Methoden der professionellen Prävention einfliessen. Vielmehr sollte sie die Bedingungen beschreiben, unter denen dies geschieht. Interventionsversuche wie die Prävention arbeiten immer wieder mit Unterscheidungen, die mit der Unterscheidung gut/schlecht doppelcodiert werden: Frei- heit/Grenzen, Genuss/Missbrauch, Risiko/Sicherheit etc. Eine ethische Perspektive im Sinne Luhmanns kann dazu beitragen, dass erstens die nicht aktualisierte Seite einer Unterschei- dung öfters ins Blickfeld gerät, dass zweitens andere mögliche Unterscheidungen beachtet werden und dass man drittens die Konstruktivität dieser ethischen Haltung beachtet und an- erkennt, dass die Werte und Normen nicht für alle gleich sind. Dabei geht es, wie gesagt, gerade nicht um die Beliebigkeit von Normen und Werten, sondern um eine reflektierte Mo- die versucht, die Bewertung auf Handlungen zu beschränken und nicht Personen als welche die Kontingenz der eigenen Sichtweise berücksichtigt, die damit vermeidet, dass die eigenen Werte (Gesundheit, kontrollierter Umgang mit Suchtmitteln oder Abstinenz etc.) zum Mass aller Dinge erhoben werden und die dadurch dazu beiträgt, dass diejenigen, die sich nicht schützen wollen oder kön- Selbst universalistische ethische Forderungen können dann im Einzelfall auf ihre Geltung hinterfragt und anderen Möglichkeiten gegenüber gestellt werden. Nehmen wir als Beispiel die ethische Forderung, dass jede Beratung die Anzahl der Möglichkeiten des beratenen Systems erhöhen sollte [12]. Diese Forderung tönt plausibel – und doch mag es Situationen geben, in denen diese Grundhaltung diskutiert werden kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Zielpersonen nicht Wahlmöglichkeiten, sondern Sicherheit und Führung suchen. In einem solchen Fall kann man sich darüber streiten, ob die eine ethische Grundhaltung (Er- weiterung der Möglichkeiten) einfach über eine andere gestellt werden kann, die ebenfalls plausibel klingt (z.B. die Respektierung der Autonomie der Zielpersonen). Auch Fachleute von Prävention und Gesundheitsförderung können nicht auf eine übergeordnete Massgabe für die Entscheidung solcher Fragen zählen – oder um es in den Worten von Heinz von Fo- erster [12, S. 73] auszudrücken: „Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können Die ethischen Fragen von Prävention und Gesundheitsförderung sind – das wäre die hier vertretene These – grundsätzlich unentscheidbar, da es keine absoluten, für jede Situation und jeden Beobachter gültigen Werte gibt. Für von Foerster [12, S. 73] bringt das die Freiheit der Wahl mit sich, aber mit dieser Freiheit auch die Verantwortung für die eigenen Entschei- Ethik in der Praxis von Prävention und Gesundheitsförderung Für die Fachleute und Organisationen in Prävention und Gesundheitsförderung (wie auch in der kurativen Medizin) bedeutet dies, dass sie Strukturen einrichten müssen, die erlauben, die für eine Präventionsethik relevanten Fragen zu stellen und sie möglichst partizipativ (un- ter Umständen auch mit den Zielpersonen) zu diskutieren. Dabei geht es zuerst darum zu prüfen, welche Fragen bereits entschieden sind, und bei welchen es keine solche a priori- Entscheidung gibt, so dass sie die Entscheidung selbst fällen werden müssen. So ist die Frage, ob Prävention und Gesundheitsförderung prinzipiell zu befürworten sind, für die Fach- leute im Feld schon vorentschieden. Andere ethisch relevante Fragen sind nicht so einfach zu entscheiden – etwa die Frage, wie, bei wem und in welchem Ausmass präventive und gesundheitsförderliche Massnahmen umgesetzt werden sollen. Weitere Beispiele für solche nicht generell entscheidbaren Fragen lassen sich mit Blick auf die bisherigen Ausführungen Sind Krankheiten, ‚soziale Probleme‘ und Unglück prinzipiell immer schlecht und müssen daher mit allen Mitteln verhindert oder zumindest früh erkannt und ausge- Wie gehen wir damit um, wenn die zu verhindernden oder zu behandelnden Proble- me für die Zielsysteme auch eine gesundheitsförderliche Bedeutung haben (etwa die gemeinschaftsstiftende Wirkung von Rauschtrinken)? Wo setzen wir in einem solchen Fall die Grenze (etwa wenn es um die gemein- schaftsstiftende Wirkung von Rassismus geht)? Führt die einseitige Fokussierung auf Gesundheit, soziale Ordnung und Glück nicht zu grundsätzlichen Diskriminierung von Krankheit und sozialer Devianz und damit zu einer verstärkten Ausgrenzung derjenigen, bei denen sich diese Phänomene nicht haben verhindern oder frühzeitig beseitigen lassen (etwa chronisch Kranke)? Was ist in dieser Hinsicht von Prävention und Gesundheitsförderung zu halten, die sich explizit an Risikopopulationen richtet; dient sie der Unterstützung benachteiligter und gefährdeter Zielgruppen oder trägt sie zu ihrer Stigmatisierung (Adressenbe- schädigung) und damit zur Ausgrenzung (Exklusion) dieser Gruppen bei? Wie gehen wir mit Zielpersonen um, die nichts von Prävention und Gesundheitsförde- Wie gehen wir generell mit der Differenz von individueller Freiheit und (insbesondere: gesetzlichen) Massnahmen zur Verhinderung von Krankheiten und anderen Proble- Ist die Unterscheidung von Selbst- und Fremdgefährdung bei der Beantwortung die- ser Frage generell hilfreich oder nur punktuell? Welche Bedeutung hat die Unterscheidung von Unterstützung und Kontrolle in der Prävention, der Gesundheitsförderung und vor allem in der Früherkennung? Wenn wir für uns entscheiden würden, dass die Präferenz der Früherkennung aus professioneller Sicht bei der Unterstützung und nicht bei der Kontrolle liegt, müssten wir uns nicht auch die Frage stellen, ob Kontrolle nicht auch eine unterstützende Laufen Prävention, Gesundheitsförderung und Früherkennung damit nicht immer auch die Gefahr, als Mittel zur Ausübung von Herrschaft missbraucht zu werden und – wenn dem so wäre – was würde das bedeuten? Unter welchen Bedingungen kann/soll/muss man in einem solchen Fall auch mal die Diese beliebig erweiterbaren Beispiele bestätigen die oben formulierte These, dass Ethik in keine erhöhte Form von Moral ist, die grundsätzlich vorgibt, was gut und schlecht ist. Viel- mehr repräsentiert sie eine Fragehaltung, die am Beginn eines Diskurses steht. Dieser Dis- kurs wird in Prävention, Gesundheitsförderung und in der Früherkennung (und nicht nur dort) in vielen Fällen nicht ausreichend geführt. Er ergibt sich nicht einfach von selbst, sondern muss organisiert werden – im Rahmen von Organisationen, Netzwerken und Projekten, die sich mit der Planung, Umsetzung und Evaluation von professionalisierter Prävention, Ge- sundheitsförderung und Früherkennung beschäftigen. Nur so wird es möglich, die eigenen Haltungen zu reflektieren und moral- und wertebezogene Entscheidungen zu treffen, für die die Fachleute auch die Verantwortung übernehmen können. • Eine reflexive Ethik in Prävention und Gesundheitsförderung verspricht keine vorgegebe- nen oder gar endgültigen Antworten zu Fragen der Werte oder der Moral. • Vielmehr ist Ethik aus der hier eingeführten systemtheoretischen Perspektive als indivi- dueller und sozialer Reflexionsprozess zu verstehen. • Dieser Prozess erfolgt nicht von selbst; er muss in Form eines Diskurses zwischen den Fachleuten im Rahmen der Planung und Umsetzung von Projekten und andern Aktivitä- ten immer wieder neu organisiert werden. 1. Antonovsky A (1997) Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Dt. erw. 2. Fuchs P (2008) Prävention – Zur Mythologie und Realität einer paradoxen Zuvor- kommenheit. In: Saake I, Vogd W (Hrsg.) Moderne Mythen der Medizin. Studien zur organisierten Krankenbehandlung. VS, Wiesbaden, S. 363-378 3. Hafen M (2007) Grundlagen systemischer Prävention. Ein Theoriebuch für Lehre und 4. Hafen M (2009) Mythologie der Gesundheit. Für eine Integration von Salutogenese und Pathogenese. 2. unver. Aufl. Carl Auer, Heidelberg 5. Heidegger M (1972) Sein und Zeit. 12. unver. Aufl. Niemeyer, Tübingen 6. Luhmann N (1991) Soziologie des Risikos. de Gruyter, Berlin/New York 7. Luhmann N (1994) Soziale Systeme - Grundriss einer allgemeinen Theorie. 5. Aufl. 8. Luhmann N (1997) Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 9. Luhmann N (1998) Ethik als Reflexionstheorie der Moral. In: Luhmann N, Gesell- schaftsstruktur und Semantik. Bd. 3. 2. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 358- 10. Seligman MEP (2008) Positive Health. Applied Psychology: An International Review 11. Simon FB (2001) Die andere Seite der Gesundheit. 2. Auflage. Carl Auer, Heidelberg 12. Von Foerster H (1993): KybernEthik. Merve, Berlin 13. Hafen M (2011) Gesundheitsförderung, Prävention und Nachhaltige Entwicklung - Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Eine systemtheoretische Analyse von drei Kon- zepten der Zukunftsbeeinflussung. interact, Luzern Prof. Dr. phil. Martin Hafen Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit Luzern Verantwortlicher Kompetenzzentrum Prävention und Gesundheitsförderung Werftstr. 1, Postfach 3252 6002 Luzern Schweiz Tel. +41-61-367 48 81, Fax +41-61 367 48 49 E-Mail: [email protected] Web: www.fen.ch Der Autor bestätigt, dass kein Interessenskonflikt besteht.

Source: http://www.fen.ch/texte/mh_ethik.pdf

anet.ua.ac.be

Aanwinsten van LUC — Genetics and immunobiology of pathogenic neisseria,proceedings of an EMBO workshop / [edit.] Dan Danielson ; Zonder udc [edit.] Staffan Normark. — Hemavan : 1980. — 307 p. —ISBN 91–7174–068–6 Methodiek van de preventieve projectwerking / Frits de Cauter ;Lode Walgrave. — 2 ed. — Leuven : Acco, 1999. — 270 p. —ISBN 90–334–4377–5 Immune me

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