Microsoft word - selbsthilfe werkstattbericht 29 nov 2006 letzte fassung 24_11_2006_ 16.00 uhr.doc
Entwicklung und Förderung des internen Diskurses zwi- schen Krankenkassen und Selbsthilfegruppen „Einfluss des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf die Selbsthilfe“ Dr. med. Kirsten Schubert Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske Universität Bremen - Zentrum für Sozialpolitik November 2006 Vorbemerkung
Der vorliegende Bericht stützt sich in seinen Aussagen auf die Ergebnisse einer Un-
tersuchung, welche durch die Autoren Schubert/Glaeske vom Zentrum für Sozialpoli-
tik der Universität Bremen ausgeführt und von der „Selbsthilfe – Fördergemeinschaft
der Ersatzkassen“ in Auftrag gegeben wurde.
Die Ergebnisse basieren auf Analysen schriftlichen Materials, Interviews und eigenen
Beobachtungen zum Umgang der Selbsthilfe- und Patientengruppen mit pharmazeu-
tischen Herstellern. Die Beschäftigung mit diesem Thema hat gezeigt, wie schwierig
es ist, Transparenz in diesen Bereich von Finanzierung und Abhängigkeiten, Spon-
soring und Unterstützung zu bringen. Der direkte Zugang zum Patienten1 ist für
pharmazeutische Unternehmen ohne Zweifel von nicht zu unterschätzendem Nutzen.
Die Anstrengungen, auch in Europa und Deutschland zu einer direkt an Patientinnen
und Patienten gerichteten Werbemöglichkeit für verschreibungspflichtige Arzneimittel
zu kommen, sind unübersehbar. Vor allem stehen solche Patientinnen und Patienten
dabei im Mittelpunkt, die dauerhaft wegen ihrer chronischen Erkrankungen behandelt
werden müssen. Ohne Zweifel ist es notwendig, Patientinnen und Patienten über die
diagnostischen, therapeutischen und präventiven Möglichkeiten im Umgang mit der
jeweiligen Krankheit zu informieren. Damit es aber zu einer partnerschaftlichen, au-
tonomen und souveränen Entscheidung der Patientinnen und Patienten mit ihren
Ärzten kommen kann, sind Informationen erforderlich, die nicht von einem ökonomi-
schen Interesse bestimmt sind. Ein Informationsbedürfnis insbesondere von chroni-
schen Patienten in Bezug auf ihre Behandlung ist ohne jede Einschränkung
nachvollziehbar. Dass aber der evidenzbasierte Behandlungsbedarf möglicherweise
durch eminenzbasierte und industriegeleitete Empfehlungen konterkariert wird, ist im
Das Ziel der Untersuchung war es, diese Zusammenhänge zu untersuchen. Je mehr
die Autoren sich allerdings mit dem Thema beschäftigten, desto vielfältiger traten die
Aspekte von direkter oder indirekter Beeinflussung zutage und desto klarer wurden
auch die zum Teil bestehenden personellen, strukturellen, organisatorischen und
finanziellen Ressourcendefizite mancher Selbsthilfegruppen, die angetreten waren,
den Betroffenen Hilfsstellung anzubieten. Die Autoren kommen daher zu dem
1 Selbstverständlich sind im Folgenden beide Geschlechter inhaltlich einbezogen, auch wenn nur die
Schluss, dass auf allen Seiten darüber nachgedacht werden muss, wie sich eine
Selbsthilfebewegung möglichst unanfällig für ökonomische oder sächliche Anreize
der pharmazeutischen Industrie weiterentwickeln kann und an welche Grundbedin-
gungen von Transparenz und Selbstverpflichtung eine finanzielle Förderung der
Selbsthilfegruppen durch den Staat oder die Krankenkassen geknüpft werden muss.
Keinesfalls soll damit die Selbsthilfe an sich in Frage gestellt werden: Dass diese ei-
nen wertvollen Beitrag zur Versorgung und Orientierung leisten kann und soll, ist all-
Inhaltsverzeichnis Häufig verwendete Abkürzungen . 5 I. Einleitung . 6 1. Strukturen der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Deutschland . 6 1.1 Entwicklung. 6 1.2 Die Verbreitung der Selbsthilfe. 8 1.3Begriffsbestimmungen . 9 1.3.1 Selbsthilfegruppen . 9 1.3.2 Selbsthilfeorganisationen . 9 1.3.3 Selbsthilfekontaktstellen. 10 2. Aktuelle Finanzierungssituation der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe. 11 II. Methodisches Vorgehen . 14 III. Ergebnisse der Untersuchung . 16 1. Welche Nutzenkalküle verfolgen jeweils die Selbsthilfe und die Pharmaindustrie? . 17 2. Beispiele der Einflussnahme auf die Selbsthilfe. 18 2.1 Marketingstrategien der pharmazeutischen Industrie . 18 2.2 Wer gründet Selbsthilfegruppen und -organisationen? . 21 3. Bewertung der Untersuchung. 22 3.1 Zuordnung der Formen der Einflussnahme auf die untersuchten Indikationsbereiche.23 IV. Schlussbemerkung . 25 V. Empfehlungen für die Optimierung von Qualität und Kommunikation . 27 1. Selbstverpflichtungserklärung . 27 2. Monitoringstelle . 28 VI. Ausblick . 29 1. Stärkung der Ressourcen . 29 2. Transparenz auf Nutzer- und Anbieterseite. 29 3. Verantwortlichkeit auf beiden Seiten . 29 VII. Literatur. 30 VIII. Anhang.34
Häufig verwendete Abkürzungen
mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V.
European Medicines Agency (Europäische Arzneimittel-
Food and Drug Administration (Amerikanische Arzneimit-
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-
Journal of the American Medical Association
Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung
und Unterstützung von Selbsthilfegruppen
National Institute for Health and Clinical Excellence
Anwendung eines Arzneimittels außerhalb seiner zuge-
lassenen Indikationen und/oder Dauer und/oder Dosie-
Randomised Controlled Trials (Randomisierte kontrollier-
I. Einleitung
1. Strukturen der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Deutschland
1.1 Entwicklung
Die gesundheitsbezogene Selbsthilfebewegung in Deutschland hat sich in den letz-
ten 30 Jahren seit ihrer Aufbruchszeit Anfang der 70er Jahre strukturell, numerisch
und in ihrer Zielsetzung deutlich gewandelt. Zu jener Zeit rekrutierten sich ihre Mit-
glieder ausschließlich aus ehrenamtlich tätigen Betroffenen mit dem gemeinsam er-
klärten Ziel der besseren Krankheitsbewältigung, der Veränderung ihrer persönlichen
Lebensumstände und sozialer Kompetenzentwicklung außerhalb der etablierten Me-
dizinstruktur. Ihre wachsende Bedeutung für die Betroffenen und die zunehmende
gesellschaftliche Anerkennung verhalfen der Selbsthilfe zu einem enormen Zulauf
und Aufschwung. Folgende Faktoren können für diese Entwicklung ursächlich be-
Veränderungen sozialer Netzwerke wie Familie, Nachbarschaft, Kirchenge-
Zunehmende Vernachlässigung psycho-sozialer Bedürfnisse behinderter und
Zunahme chronischer Erkrankungen durch verbesserte Therapiemaßnahmen
Zunehmende Ausdifferenzierung und Spezialisierung einzelner Krankheitsbil-
Unzulänglichkeiten in der medizinischen Versorgung und Rehabilitation
Bewusstseinswandel und Vertrauenseinbuße gegenüber etablierten Medizin-
Die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den 80er Jahren so-
wie frühe Forschungsprojekte zum Thema Selbsthilfe an den Universitäten Gießen
im Jahre 1977 (Moeller, 1992; 1996) und Hamburg im Jahre 1979 (Trojan, 1986) be-
günstigten die Gründung erster Selbsthilfekontaktstellen. Diese haben entscheidend
zur Entwicklung und Stabilisierung der Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisati-
on beigetragen (Matzat, 2001). Das Profil und Aufgabenspektrum der Selbsthilfe
haben sich seitdem erweitert. So steht sie weiterhin für Partizipation, Empowerment
und „Shared-Decision-Making“ und fördert in diesem Sinne die Kompetenz der Be-
troffenen und ihre Kooperation untereinander, Ausdruck gelebter Subsidiarität. Zu-
sätzlich ist sie aktiv beteiligt bei Fragen der Versorgung und der Kooperation mit
professionellen Strukturen. Diese immer weiter gesteckten Aufgaben bedingten viel-
fach eine Veränderung ihrer Arbeits- und Organisationsstrukturen. An die Stelle eh-
renamtlich tätiger Betroffener traten vermehrt Hauptamtliche. Zudem hat sich die
Selbsthilfe in den letzten 10 Jahren zunehmend in einer landes- und bundesweit
institutionalisierten Verbandsstruktur organisiert. Dieser erkennbare Spagat zwi-
schen patientenorientierten Tätigkeiten, der eigentlichen Aufgabe von Selbsthilfe
und den neu gesetzten Zielen, wie der Stärkung des institutionellen Charakters, um
im Gesundheitswesen bei politischen Entscheidungen Einfluss nehmen zu können,
bedingen eine notwendige Absicherung personeller und finanzieller Ressourcen.
Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe nimmt heute einen festen Platz im deutschen
Gesundheitssystem ein. Bei vielen Erkrankungen oder Behandlungsabläufen ist die
Kooperation mit oder der Verweis auf Selbsthilfegruppen nicht mehr wegzudenken –
auch Ärztinnen oder Ärzte verweisen auf deren Kompetenz und Mithilfe. In Studien
aus den Jahren 2002 und 2004 weisen zwei Drittel der Mitglieder von Selbsthilfe-
gruppen eine höhere Bewältigungskompetenz gegenüber ihrer Erkrankung und eine
verbesserte Compliance auf, als Patienten außerhalb von Selbsthilfegruppen (Bor-
getto, 2004, 2002; Herzog-Diem, 2004). Die Selbsthilfe hat daher verdientermaßen
Einzug gefunden in bundesweite Plattformen und Gremien wie z.B. das Deutsche
Forum Prävention und Gesundheitsförderung, das Patientenforum, das Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und seit dem Inkraft-
treten des GKV-Modernisierungsgesetzes im Januar 2004 in die Gremien des Ge-
1.2 Die Verbreitung der Selbsthilfe
Nach Schätzungen existierten im Jahre 2005 rund 70.000 regionale Selbsthilfegrup-
pen zu nahezu allen chronischen Krankheiten und Behinderungen, in denen ca. 3
Millionen Betroffene oder ihre Angehörigen organisiert sind. Von den regionalen
Selbsthilfegruppen vollziehen sich fließende Übergänge zu den Selbsthilfeorganisa-
tionen. Auf Landesebene existieren insgesamt ca. 800 Selbsthilfeorganisationen,
auf der Bundesebene ca. 300. Hinzu kommen auf der regionalen Ebene noch ca.
270 Selbsthilfekontaktstellen, die in Landesarbeitsgemeinschaften der Selbsthilfe-
kontaktstellen bzw. in landesweiten Koordinationsstellen organisiert sind. Sie wer-
den auf Bundesebene durch die Deutsche Ar-beitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen
(DAG SHG), c/o Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unter-
stützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) vertreten.
Die regional- und landesorganisierten Selbsthilfezusammenschlüsse werden auf
Bundesebene von folgenden Spitzenorganisationen der Selbsthilfe vertreten:
Selbsthilfe von Menschen mit Behinderungen und
chronischen Erkrankungen und ihren Angehörigen e.V. (BAG Selbsthilfe)
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (DPWV) – Gesamtverband e.V.
Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG)
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS)
Diese Spitzenorganisationen der Selbsthilfe vertreten die Interessen ihrer Mitglieder
nach außen. Sie leisten Patientenaufklärung und Öffentlichkeitsarbeit und nehmen
über ihre Beteiligung in entsprechenden Gremien Einfluss auf die Gesundheits- und
1.3 Begriffsbestimmungen
Nach den gemeinsamen und einheitlichen Grundsätzen der Spitzenverbände der
Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 4 SGB V werden Selbsthilfegruppen,
Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen wie folgt definiert (aus: Ar-
beitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen, Mai 2006):
1.3.1 Selbsthilfegruppen
Selbsthilfegruppen sind freiwillige Zusammenschlüsse von betroffenen Menschen
auf örtlicher/regionaler Ebene, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewälti-
gung von bestimmten Krankheiten und/oder psychischen Problemen richten, von
denen sie entweder selbst oder als Angehörige betroffen sind. Das Ziel ihrer Arbeit
ist die Verbesserung der Behandlungs- und persönlichen Lebensqualität sowie die
Überwindung der mit vielen chronischen Krankheiten und Behinderungen einherge-
henden Isolation und gesellschaftlichen Ausgrenzung. Sie wirken im örtlichen/regio-
nalen Bereich in ihr soziales und politisches Umfeld hinein. Ihre Arbeit ist nicht auf
materielle Gewinnerzielung ausgerichtet. In der regelmäßigen Gruppenarbeit geben
Selbsthilfegruppen Hilfestellung und sind Gesprächspartner für ihre Mitglieder sowie
gegenüber externen Ansprechpartnern. Ihre Arbeit ist geprägt von gegenseitiger
Unterstützung und dem Erfahrungsaustausch über den Krankheits- und Behand-
lungsverlauf. Selbsthilfegruppen werden nicht von professionellen Helfern (z.B. Ärz-
ten, Therapeuten, anderen Medizin-, Gesundheits- oder Sozialberufen) geleitet. Das
schließt eine gelegentliche Hinzuziehung von Experten zu bestimmten Fragestel-
1.3.2 Selbsthilfeorganisationen
Zu Selbsthilfeorganisationen/-verbänden haben sich Selbsthilfegruppen auf Landes-
oder Bundesebene zusammengeschlossen, die auf ein bestimmtes Krankheitsbild,
eine gemeinsame Krankheitsursache oder eine gemeinsame Krankheitsfolge spezi-
alisiert sind. Selbsthilfeorganisationen sind Organisationen mit überregionaler Inte-
ressenvertretung, meist größeren Mitgliederzahlen, teilweise mit hauptamtlichem
Personal, bestimmter Rechtsform (zumeist als eingetragener Verein), stärkeren
Kontakten zu Behörden, Sozialleistungsträgern, Trägern der Freien Wohlfahrtspfle-
Als Aufgaben der Selbsthilfeorganisationen sind beispielhaft zu nennen: Interes-
senvertretung im gesundheits- und sozialpolitischen Bereich, Herausgabe von Me-
dien zur Information und Unterstützung der betroffenen Menschen sowie der ihnen
nahe stehenden weiteren Organisationen, Durchführung von Lehrgängen, Semina-
ren, Konferenzen und Fachtagungen. Neben Dienstleistungen für die eigenen Mit-
glieder erbringen sie Beratungs- und Informationsleistungen für Dritte. Abhängig
vom jeweiligen Selbstverständnis und vom Verbreitungsgrad einer chronischen Er-
krankung oder Behinderung haben sich unterschiedliche Verbands- bzw. Organisa-
tionsstrukturen herausgebildet. Dementsprechend weisen Bundesorganisationen
nicht immer eigenständig ausgebildete Strukturen auf der Landes- und der Orts-
1.3.3 Selbsthilfekontaktstellen
Selbsthilfekontaktstellen sind örtlich oder regional arbeitende, professionelle Bera-
tungseinrichtungen mit hauptamtlichem Personal. Sie stellen Bereichs-, Themen-
und Indikationsgruppen übergreifend Dienstleistungsangebote zur methodischen
Anleitung, Unterstützung und Stabilisierung von Selbsthilfegruppen bereit. Sie un-
terstützen aktiv bei der Gruppengründung und vermitteln oder bieten z.B. infrastruk-
turelle Hilfen in Form von Gruppenräumen, Beratung oder Praxisbegleitung von
Eine Hauptzielgruppe von Selbsthilfekontaktstellen sind Bürger, die noch nicht Teil-
nehmer bzw. Mitglieder von Selbsthilfegruppen sind, sondern sich über Möglichkei-
ten und Grenzen der Selbsthilfe informieren und beraten lassen, z.B. über das
Spektrum regionaler Selbsthilfegruppen. Selbsthilfekontaktstellen stärken die Ko-
operation und Zusammenarbeit von Selbsthilfegruppen und Professionellen, vermit-
teln Kontakte und Kooperationspartner und fördern die Vernetzung der Angebote in
Selbsthilfekontaktstellen verstehen sich als Agenturen zur Stärkung der Motivation,
Eigenverantwortung und gegenseitigen freiwilligen Hilfe. Sie nehmen eine Wegwei-
serfunktion im System der gesundheitsbezogenen und sozialen Dienstleistungsan-
gebote wahr und können dadurch zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur
2. Aktuelle Finanzierungssituation der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe
Die finanzielle Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe erfolgt über Zu-
schüsse durch die öffentliche Hand (Bund, Länder, Kommunen), durch die Sozial-
versicherungsträger (GKV und GRV) und durch private Geldgeber in Form von
Die Selbsthilfeförderung der öffentlichen Hand ist nicht gesetzlich geregelt und stellt
daher eine freiwillige Leistung dar. Auf Bundesebene erfolgt die Förderung vor-
nehmlich durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesmi-
nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Jedes Jahr wird
erneut über die Gesamtfördersumme parlamentarisch entschieden. Für die Jahre
2005 und 2006 betrug das Fördervolumen des BMG jeweils 2,5 Mio. €, davon wur-
den 2,3 Mio. € im Jahre 2005 genehmigt und als projektbezogene Förderung den
bundesweiten Dachverbänden (BAGS, DAG SHG, NAKOS) und einzelnen Selbsthil-
feorganisationen zur Verfügung gestellt (Interview BMG, 2006).
Die Selbsthilfeförderung durch die Bundesländer und Kommunen erfolgt uneinheit-
lich und sinkt in den letzten Jahren stetig (siehe Anhang,Tabelle 1, NAKOS 2005).
Betrug die Förderung im Jahr 2001 für die Selbsthilfe insgesamt noch 14,7 Mio. €,
so betrug sie im Jahre 2005 lediglich 12,1 Mio. €. Der bundesweite Durchschnitt für
das Jahr 2005 liegt bei 0,15 € je Einwohner, zwischen den einzelnen Bundesländern
schwankt dieser Wert erheblich. Diese zunehmend finanziell angespannte Situation
der Selbsthilfeförderung kommt durch eine eher ungeregelte und rechtlich nicht ge-
sicherte Förderstruktur zustande (NAKOS Paper 5, 2005).
Die Selbsthilfeförderung durch die Sozialversicherungsträger ist ebenfalls uneinheit-
lich geregelt. Für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) besteht eine gesetz-
lich verankerte „Soll-Regelung“. Für die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) und
die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) stellt die Förderung der Selbsthilfe eine
freiwillige Leistung („Kann-Regelung“) dar.
Seit der Novellierung des § 20 Abs. 4 SGB V mit der Gesundheitsreform im Jahre
2000 steht die GKV in der Pflicht, pro Versicherten und Jahr eine vorgegebene
Summe unter Berücksichtigung der jährlichen Dynamisierung zu vergeben.
Für das Jahr 2005 betrug der Richtwert 0,54 € je Versicherten, das ausgeschüttete
Fördervolumen durch die Krankenkassen erreichte knapp 0,40 € pro Versicherten,
allerdings mit starken Unterschieden zwischen den einzelnen Krankenkassen und
Kassenarten. Die derzeit noch unzureichende Nutzung des Fördervolumens liegt
auch in strukturellen Gegebenheiten der Förderpraxis begründet. Die Antrags- und
Bewilligungsverfahren erfolgten in den ca. 260 Einzelkrankenkassen (2005) bislang
uneinheitlich und oftmals wenig transparent für die Antragsteller.
Die Förderung kann sowohl projektbezogen wie auch pauschal erfolgen und verteilt
sich auf vier Förderbereiche (Selbsthilfeorganisationen auf Bundes- und Landes-
ebene, regionale Selbsthilfegruppen, Selbsthilfekontaktstellen) und drei Förderebe-
nen (Bund, Länder, Kommunen). Voraussetzung für den Erhalt einer Förderleistung
ist das erklärte Ziel der Selbsthilfegruppe oder Selbsthilfeorganisation, die Sekun-
därprävention und/oder Rehabilitation in dem jeweiligen Krankheitsbereich zu för-
dern. Seit der Novellierung des § 20 Abs. 4 SGB V hat die Höhe der Förderbeiträge
durch die GKV kontinuierlich zugenommen (Hundertmark-Mayser et al., 2004).
Auf der Landes- und der Bundesebene haben sich inzwischen mehrere Kranken-
kassen oder Krankenkassenverbände zu Förderpools oder Fördergemeinschaften
zusammengeschlossen und fördern darüber gemeinsam die Selbsthilfe. Im Jahre
2005 bewilligte z.B. die „Selbsthilfe - Fördergemeinschaft der Ersatzkassen“ (Zu-
sammenschluss von Techniker Krankenkasse (TK), Kaufmännische Krankenkasse
(KKH), Hamburg Münchener Krankenkasse, Hanseatische Krankenkasse (HEK),
Gmünder ErsatzKasse (GEK), HZK - Krankenkasse für Holz- und Bauberufe, KEH
Ersatzkasse) Fördermittel für 201 Bundesorganisationen der Selbsthilfe (0,13 € pro
Versicherten). 60 % der Fördermittel lagen unter 6.000 €, 25 % betrugen bis zu
10.000 € und 15 % lagen darüber, die Höchstförderung erreichte 88.000 €. Allein für
die Förderung der Selbsthilfe auf Bundesebene entspricht die Gesamtsumme der
Förderung nahezu einem Viertel des gesetzlich vorgegebenen Richtwertes und da-
mit der Forderung der Selbsthilfe, jedem Förderbereich 25 % der Mittel zur Verfü-
Die Förderung der Selbsthilfe durch die Rehabilitationsträger gemäß § 29 SGB IX
soll ebenfalls nach einheitlichen Grundsätzen erfolgen, wobei diese gesetzliche Re-
gelung keinen Leistungsanspruch für die Selbsthilfe nach sich zieht. Vielmehr sind
die Leistungsvoraussetzungen in den jeweiligen Leistungsgesetzen der Rehabilitati-
onsträger geregelt (vgl. § 7 SGB IX). Dies ist für die gesetzlichen Krankenkassen §
20 Abs. 4 SGB V (vgl. oben), für die gesetzliche Rentenversicherung § 31 Abs. 1
Satz 1 Nr. 5 und Abs. 3 SGB VI. Die Gesetzliche Rentenversicherung (Deutsche
Rentenversicherung Bund) hat demnach in den zurückliegenden Jahren die Selbst-
hilfe insgesamt mit jeweils 3,2 Mio. € gefördert (Gesundheitsberichterstattung des
Bundes, 2004). Die Vorschriften für die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
enthalten keine expliziten Hinweise zur Förderung der Selbsthilfe.
Zu einem nicht unerheblichen Anteil bestreitet die Selbsthilfe ihre Finanzierung
durch private Geldgeber, so aus Stiftungen, Spenden und Sponsoring. Dieser Anteil
machte im Jahre 2004 23,9 % ihres Gesamtvolumens aus. Erhebungen aus dem
Jahre 2004 über den Förderanteil von Sponsoren belegen, dass bei ca. 25 % der
Selbsthilfeeinrichtungen der Sponsoringanteil unter 20% liegt. Nur einige wenige
dieser Einrichtungen, ca. 5%, bestreiten über die Hälfte ihres Etats aus Sponso-
ringmitteln (Schilling, 2006). Die Sichtung beispielsweise des Aktivitätenspektrums
und der Jahresabschlussberichte von Selbsthilfeorganisationen lässt annehmen,
dass diese Art der Finanzierung zunimmt. Der Zugang zu objektiven Daten gestaltet
sich jedoch schwierig, und entsprechende Hinweise beruhen häufig auf Selbstaus-
künften, wodurch die Genauigkeit der Angaben leidet.
Annähernd die Hälfte (40,6 %) ihres Finanzierungsbedarfes deckte die Selbsthilfe
im Jahre 2004 mit Eigenmitteln ab, überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen (Gesund-
heitsberichterstattung des Bundes, 2004).
Die politisch gewollte qualitative Aufwertung der Selbsthilfe, die sich unter anderem
an der Beteiligung in den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)
zeigt, sollte die politischen Entscheidungsträger dazu auffordern, eine gesicherte
Finanzierung der Selbsthilfe zu garantieren. Diese Förderung muss an Kriterien wie
Patientenorientierung und Transparenz des Mittelzuflusses sowie der Mittelverwen-
dung gebunden sein. Ebenso wäre auch die nachweisbare Unabhängigkeit Voraus-
setzung für eine derartige Förderung. In dieser Untersuchung wird eine Bestands-
aufnahme des derzeitigen Selbsthilfegruppen- und Selbsthilfeorganisationen-
Szenarios dargestellt und ein Vorschlag unterbreitet für die Implementierung künftig
anzuwendender Qualitätsindikatoren bei der Vergabe von Fördermitteln.
II. Methodisches Vorgehen
Der Bericht dokumentiert die Untersuchung über die Einflussnahme des pharmazeu-
tisch-industriellen Komplexes auf die Selbsthilfe auf der Basis von Medien- / Doku-
mentenanalysen, Interviews und teilnehmender Beobachtung beispielhaft
ausgewählter Krankheitsbilder (Alzheimer Demenz, Neurodermitis, Osteoporose,
Parkinson’sche Erkrankung, Psoriasis und Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom / Hyper-
kinetisches Syndrom – ADHS). Die jeweiligen Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeor-
ganisationen wurden über die Adress-Datenbank „Grüne Adressen“ der Nationalen
Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfe-
gruppen (NAKOS) sowie über die Homepage der NAKOS (www.nakos.de) recher-
chiert. Die Auswahl der Krankheitsbereiche erfolgte nach Kriterien der Aktualität
innerhalb der Diskussion um die jeweiligen Krankheitsbilder und ihrer aktuellen The-
rapieoptionen. Die Auswahl steht in keinem Zusammenhang mit einer etwaigen Aus-
sage über einen besonders häufigen oder willfährigen Kontakt dieser
Selbsthilfegruppen bzw. Selbsthilfeorganisationen zur Pharmaindustrie.
Die Medien- / Dokumentenanalyse basiert auf der Sichtung von Mitgliederzeitschrif-
ten und Internetauftritten der Selbsthilfeorganisationen hinsichtlich Werbeauftritte von
Pharmaunternehmen in der Arzneimittel-Produktwerbung, in der Firmenlogo-
Werbung sowie Links zur Pharmaindustrie auf den Internetseiten der Selbsthilfe (im
Folgenden: direkte Auftritte der Pharmaindustrie), sowie in Arzneimittel-Publikationen
(im Folgenden: indirekte Auftritte der Pharmaindustrie). Die Arzneimittel-
Publikationen wurden im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit evidenzbasierten
Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften geprüft, bei vorliegenden Studien wurde
der Inhalt bevorzugt mit den Bewertungen industrieunabhängiger Institutionen wie
dem IQWIG, dem National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) oder
dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) abgeglichen.
Weiter wurden persönliche Interviews mit Mitgliedern und Leitern von Selbsthilfe-
gruppen sowie hauptamtlichen Geschäftsführern von Selbsthilfeorganisationen über
ihre Erfahrungen mit Pharmasponsoring geführt. Ein Auswahlkriterien für die befrag-
ten Repräsentanten von Selbsthilfegruppen und –organisationen, Selbsthilfe-
Dachverbänden und Verbraucherschutz waren deren jeweiliger Erfahrungshinter-
grund und deren Kenntnisse bei der Akquirierung von Fördermitteln.
Die Auswahl der ärztlichen Interviewpartner erfolgte unter den Aspekten der Erfah-
rungen in wissenschaftlicher Beiratstätigkeit und der Beteiligung an der Erstellung
von Leitlinien. Ergänzend dazu erfolgte die teilnehmende Beobachtung auf Patien-
tenkongressen, zur Identifizierung des direkten Wirkens von Pharmasponsoren und -
sponsoring „vor Ort“. Weiter wurden an 23 Pharmafirmen, die maßgeblich an der
Arzneimittelversorgung der zugrunde liegenden Indikationsbereiche beteiligt sind,
Fragebögen bezüglich der Art und des Ausmaßes ihrer Sponsoringverträge mit
Selbsthilfeorganisationen und –gruppen versandt. Die eingegangenen Antworten
Die wissenschaftlichen Beiratsmitglieder der Selbsthilfeorganisationen wurden auf
nachweisbare Beziehungen zur Pharmaindustrie untersucht. Über Internetrecher-
chen ließ sich kein Nachweis erbringen, da sie dort nicht offen zugänglich transpa-
rent gemacht worden waren, so wenig wie in den Mitgliederzeitschriften.
Die methodische Vorgehensweise variiert zwischen den einzelnen Krankheitsberei-
chen und den Selbsthilfeeinrichtungen. Dies liegt in der unterschiedlichen Kooperati-
onsbereitschaft ihrer Mitglieder zur Mitwirkung an dieser Untersuchung begründet.
III. Ergebnisse der Untersuchung
In diesem Projekt wurde das Phänomen des Pharmasponsorings und der damit ver-
bundenen Einflussnahme auf Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen, Selbst-
hilfe-Dachverbände und in mittelbarer Konsequenz auf Entscheidungsträger in der
Politik untersucht. In den USA ist das Zusammenwirken von Pharmaindustrie und
Selbsthilfe bereits seit Mitte der 80er Jahre gängige Praxis (Angel, 2004). Auf ähnli-
che Weise erschloss die pharmazeutische Industrie auch den deutschen „Selbsthilfe-
Markt“ für ihre Interessen. Gerade die wachsende politische und öffentliche Wahr-
nehmung und Aufwertung der Selbsthilfe machen sie interessant und anfällig für In-
strumentalisierungszwecke durch Kräfte im Gesundheitssystem, wie die
Pharmaindustrie und Apparateindustrie. Hierzulande wie in anderen Ländern auch
wird die Arzneimittelforschung weitestgehend von der Pharmaindustrie finanziert. Die
Produkte dieser Forschung sind keineswegs immer hoch innovativ und therapeutisch
fortschrittlich. Im Gegenteil kommen immer häufiger auch Mittel auf den Markt, die
zwar neu und teuer sind, nicht aber zu einer besseren Behandlung beitragen. Aber
auch diese Mittel suchen und finden ihren Markt, die Werbung und das Marketing
tragen dazu bei. In diesem Zusammenhang werden zunehmend Patientinnen und
Patienten als quasi betroffene „Pharmareferenten“ genutzt, die in der Praxis aus gut
nachvollziehbaren Gründen auf die Verordnung neuer und angeblich besser wirksa-
mer Mittel drängen. Der Weg über die Information von Selbsthilfe- und Patienten-
gruppen ist daher eine Umgehung des Verbots, für rezeptpflichtige Arzneimittel in der
Öffentlichkeit zu werben. Hier werden gezielt Patientinnen und Patienten in Veran-
staltungen (u.a. in so genannten Patientenforen) mit neuen Therapieoptionen be-
kannt gemacht, die diese dann beim nächsten Praxisbesuch einfordern. Häufig
werden auch Hinweise gegeben, die einem „off-label-use“ Vorschub leisten und da-
mit Arzneimittel auch für solche Therapiefelder propagieren, die noch nicht durch ei-
ne Zulassung abgedeckt sind. Der Konkurrenzdruck ist stark. Arzneimittelhersteller
unterliegen einem steten Wettbewerb um die schnellste Zulassung, den ersten Platz
auf dem Absatzmarkt, die erste Veröffentlichung in renommierten Fachzeitschriften.
Im Kampf um den Endverbraucher investieren pharmazeutische Unternehmen etwa
4 Milliarden Euro in das Marketing für Arzneimittel, das sind 30% des entsprechen-
den Umsatzes in diesem Bereich, geschätzt doppelt so viel wie in die Forschung. Die
Industrie möchte nach dem Vorbild der USA Patienten gerne direkt beeinflussen.
Dort ist seit einigen Jahren eine derartige Direktwerbung für rezeptpflichtige Arznei-
mittel bei Laien erlaubt – mit drastischen Folgen für die Gesundheitsversorgung: die
Ausgaben explodieren, denn es gibt zahlreiche Wunschverschreibungen (Wagner,
2002). Bis dato war die Ärzteschaft erster Adressat ausgefeilter Marketingstrategien
der Pharmafirmen. Durch gezieltes Sponsoring konnten und können Ärzte zu einem
wohlwollenden Arzneimittel-Verordnungsverhalten veranlasst werden. Rund 35.000 €
pro niedergelassenem Arzt und Jahr investiert die Industrie in diesen Zweck. Der di-
rekte Zugang zum Endverbraucher über die Selbsthilfe ist kosteneffektiver und mit
dem unbezahlbaren Potenzial der Glaubwürdigkeit versehen.
1. Welche Nutzenkalküle verfolgen jeweils die Selbsthilfe und die Pharmain- dustrie?
Aufwertung und gesellschaftliche Anerkennung ihrer selbst und ihrer Er-
Einfluss auf Therapie und Arzneimittel-Produktentwicklung, -gestaltung,
Identitätsstiftung nach innen (corporate identity)
Zugang zu spezifischen Marktsegmenten auf Endverbraucher-Ebene (un-
ter Umgehung des Arzneimittel-Werbeverbotes, HWG §3)
Politische Unterstützung über Beteiligungsrecht der Selbsthilfe im G-BA
(Positivliste, Festbetragsregelung, Erstattungspflicht)
Gemeinsam sind beiden Bündnispartnern die Erwartungen an eine gegenseitige poli-
tische Unterstützung. Im G-BA beteiligen sich Vertreter der Selbsthilfe bei der Ent-
wicklung der Agenda Arzneimittelversorgung sowie der Behandlungsprogramme für
chronisch Kranke. Dieses Beteiligungsrecht auf hoher politischer Ebene bedeutet für
die Industrie einen wertvollen Zugang zu relevanten Entscheidungsträgern. Die In-
dustrie profitiert mit ihrem Sponsoring durch Imagegewinn nach außen und innen
(Corporate Identity) und verschafft sich Zugang zu spezifischen Marktsegmenten auf
Verbraucherebene: Ziel ist das direkte Patienten-Marketing mit geringem Streuver-
lust und Prä-Marketing von Arzneimitteln, die noch nicht auf dem Markt sind (Feye-
rabend, 2004). Firmenprodukte können in Mitgliederzeitschriften und auf
Patientenkongressen unter Umgehung des Werbeverbotes für verschreibungspflich-
tige Medikamente angepriesen werden. Über den wissenschaftlichen Beirat werden
Studien kommentiert und Präparate empfohlen.
2. Beispiele der Einflussnahme auf die Selbsthilfe
2.1 Marketingstrategien der pharmazeutischen Industrie Arzneimittel-Produktwerbung
findet im Rahmen von Vorträgen und Kongressen statt, unter Umgehung des
Heilmittelwerbegesetzes, auch im „off-label-use“.
Beispiele: Methylphenidat bei Kindern unter sechs Jahren mit ADHS. Herceptin
bei an Brustkrebs erkrankten Frauen ohne Metastasen.
Arzneimittel-Publikationen
Verbreitung in Verbandszeitschriften, im Internet, auf Vorträgen über den wis-
Beispiele: Calcineurin-Antagonisten bei Neurodermitis, Biologika bei Psoriasis,
Prä-Marketing von Arzneimitteln
Es werden Bedürfnisse nach neuen Arzneimitteln geweckt.
Rekrutierung von Selbsthilfe-Mitgliedern und anderen Betroffenen für wissen- schaftliche Studien
erfolgt über Mitgliederzeitschriftenn und über das Internet
Beispiele: „dPV-Nachrichten“ der Deutschen Parkinson-Vereinigung - regelmä-
ßig Aufrufe zur Studienteilnahme; Internetauftritt des Deutschen Neurodermitis
Adresslisten z.B. bei Vortragsveranstaltungen
Über Adresslisten verschafft sich die Pharmaindustrie Zugang zu Mitglieder-,
Gründung von Förderkreisen von Selbsthilfeorganisationen und Pharma- Industrie Gründung, Beratung, Leitung von Selbsthilfegruppen durch die Pharmaindust-
Im Jahr 2000 gründete die Firma Roche die „Koalition Brustkrebs“
Die Pharma-Unternehmen Bristol-Myers-Squibb, Pfizer, Janssen-Cilag und Lilly
Versuchten erfolglos Selbsthilfegruppen zum Thema Darmkrebs einzurichten.
Initiation von Web-Sites
www.selbsthilfe.de (Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie - BPI)
Industriefreundliche Ergebnisdarstellung von wissenschaftlichen Studien
Beispiele: MSD (Vioxx); Pfizer (Lorzaar).
Pharmagesponserte Leitlinienerstellung der medizinischen Fachgesellschaften
Mitglieder medizinischen Fachgesellschaften beziehen Pharmagelder für der
Erstellung von wissenschaftlichen Leitlinien.
Organisation der Medienentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit durch pharma- gesponserte PR-Agenturen
Die Firma Roche tritt über PR-Agenturen mit Selbsthilfegruppen in Kontakt, um
Pressearbeiten für diese organisieren zu lassen.
Pathologisierung physiologischer Vorgänge ( Disease Awareness Campaigns / Disease Mongering – Krankheits Bewusstmachungs Kampagnen) – Gründung von Selbsthilfegruppen der entstehenden „Krankheitsbilder“
Physiologische Vorgänge wie Potenzminderung beim Mann, Darmkollern bei
der Frau und psychisches Missempfinden werden pathologisiert und durch ent-
sprechende Arzneimittel- und Selbsthilfegruppen-Angebote vermarktet.
Beispiele: Erektile Dysfunktion – Viagra - Pfizer,
Reizdarm-Syndrom – Tegaserol – Novartis,
Arzneimittel-Werbung über prominente Leitfiguren
Über die Identifikation mit prominenten Leitfiguren und „ihren“ Erkrankungen
wird die Arzneimittel-Wahl „gebahnt“.
Beispiele: Rosi Mittermeier – MSD – Osteoporose,
Cara Kahn von MTV – Effexor von Wyeth – Depression.
Verdeckte Arzneimittel-Werbung über Prominente („Trojanisches Pferd“ oder Advertorial)
Bei dieser subtilen Form der Pharma-Werbung werden Werbebotschaften in
journalistische Berichterstattung verpackt.
Beispiel: Firmen-Logo „Astra Zeneca“ auf dem Paddel der asthmakranken Ka-
Kommunikations– und Strukturanalyse von Selbsthilfegruppen /Selbsthilfe- organisationen über Meinungsforschungsinstitute
Pharma-Unternehmen beauftragen Marktforschungsinstitute mit Analysen über
Strukturen und Kommunikationsformen von Selbsthilfegruppen. Die Ergebnisse
sollen der optimalen Rekrutierung potentieller „Partner“ dienen (Wege Bahnen
zu betroffenen und Inanspruchnahme Betroffener von Selbsthilfegruppen).
Marketing als Gesundheitsaufklärung getarnt
Ausstrahlung pharmagesponserter Patientensender in Krankenhäusern.
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) versucht mit einer als
Patienteninformation über Arzneimittel angekündigten Diskussionsrunde Patien-
tenverbände als Lobby gegen das Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel
Internet-Foren
Pharma-Mitarbeiter tarnen sich als Betroffene, beteiligen sich an den Diskussi-
onen und lancieren Therapieempfehlungen bzw. bewerben Arzneimittel.
Entwicklung und Ausführung von Patientenschulungen an Selbsthilfegruppen, Corporate Citizenship – Profit mit Non-Profit
Die Augsburger Pharmafirma Betapharm entwickelte über ihre Tochterunter-
nehmen “betacare gGmbH“ und „betainstitut gGmbH“ als Strategie des sozialen
Engagements ein 3-Stufen-Modell: Sponsoring, Corporate Social Responsibili-
ty, Corporate Citizenship. Diese Strategie hat die Firma von Platz 15 (1998) auf
Platz 4 (2004) der deutschen Generika-Hersteller befördert.
Die Hexal-Tochter „Oncocare gGmbH“ betreibt in Berlin eine Krebsberatungs-
2.2 Wer gründet Selbsthilfegruppen und -organisationen?
Selbsthilfegruppen werden von Betroffenen oder ihren Angehörigen gegründet. Sie
verleihen dadurch ihren Bedürfnissen und Zielen Ausdruck. In den letzten Jahren ist
zu beobachten, dass auch Ärzte und Wirtschaftsunternehmen (insbesondere die
pharmazeutische Industrie) an der Gründung von Selbsthilfegruppen beteiligt sind
oder selber eine aktive Gründungsrolle übernehmen (vgl. Abschnitt 2.1).
3. Bewertung der Untersuchung
In der Tabelle 2 (siehe Anhang) sind die Ergebnisse der Einflussnahme der Pharma-
industrie auf die bundesweiten Selbsthilfeorganisationen der untersuchten Indikati-
onsbereiche dargestellt. Ergänzend zur Untersuchung der Bundesorganisationen
erfolgten weitere Recherchen und Interviews auch auf Ebene der regionalen Selbst-
hilfegruppen. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Organisationsebenen der
Selbsthilfe konnten die unterschiedlichen „Spielformen“ der Einflussnahme durch die
pharmazeutische Industrie sichtbar gemacht werden. Dieser Zugang zur Selbsthilfe
war zu Beginn der Recherche nicht uneingeschränkt gegeben, aufgrund mangelnder
Transparenz seitens der Wissenschaftler, der Selbsthilfeorganisationen und der
pharmazeutischen Industrie. Erst im Rahmen der Interviews konnten entsprechende
Informationen und konkrete Sachverhalte entschlüsselt werden. Dabei wurde deut-
lich, dass bei den ehrenamtlich geführten Selbsthilfegruppen das Phänomen des
Pharma-Sponsorings und des damit einhergehenden Informationsbezuges aus nicht-
neutralen Quellen kaum bekannt ist oder zumindest bei geringem Bewusstheitsgrad.
Es zeichnet sich demnach ein Hierarchiegefälle hinsichtlich des Wissens um Ein-
flussnahme innerhalb der Selbsthilfestrukturen ab.
Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen die vorgefundenen Strategien der phar-
mazeutischen Industrie, den Arzneimittel-Endverbraucher direkt zu erreichen. Sie
machen deutlich, dass dort, wo das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arz-
neimittel Anwendung findet, dies über wertende Publikationen im Internet-Auftritt,
den Mitgliederzeitschriften, auf Kongressen oder Vorträgen umgangen wird. Auf ei-
nem Kongress, an dem auch Betroffene teilnahmen, wurde dies komplett ignoriert,
und mehrere pharmazeutische Anbieter warben direkt für ihre Medikamente, die teil-
weise noch nicht auf dem deutschen Markt zugelassenen waren. In anderen Fällen
wird anstelle direkter Produktwerbung Firmenlogo-Werbung betrieben. Wirksam wird
diese Form der Werbung in Verbindung mit prominenten Leitfiguren eingesetzt, ins-
besondere wenn inhaltliche Überschneidungen zwischen dem Produkt und der Leitfi-
gur bestehen, wie im Fall von Rosi Mittermaier in einer Osteoporose-Zeitschrift. Eine
der Recherchen und damit auch der Öffentlichkeit schwer zugänglichen Form der
Manipulation ist die inhaltlich verdeckte Einbindung wissenschaftlicher Meinungsfüh-
rer durch die pharmazeutische Industrie. Diese pharmagesponserten Wissenschaft-
ler agieren sowohl im wissenschaftlichen Beirat einiger Selbsthilfeorganisationen als
auch in den medizinischen Fachgesellschaften, wo sie für die Erstellung der Leitli-
nien verantwortlich zeichnen. In beiden Fällen geben sie Arzneimittelempfehlungen
ab. Ein direkterer Einfluss auf das Versorgungsgeschehen ist kaum denkbar.
Ein Pharmamarketing Experte äußerte sich im Interview dahingehend, dass „sie
doch kein Caritasverein seien; wenn die Wissenschaftler Gelder bezögen, müssten
sie auch entsprechende Inhalte vertreten“. Diese Vorgehensweise bestätigten weite-
re Experten im Rahmen der geführten Interviews. Auch Vertreter von Selbsthilfeor-
ganisationen bekannten sich uneingeschränkt zu der unkomplizierten
„Vergabepolitik“ der Pharmaindustrie. Entmutigt durch langwierige Vergabeverfahren
bei den Krankenkassen ziehen sie die weniger bürokratische Lösung vor. Selbstver-
ständlich zum Preis einer vereinbarten Gegenleistung.
Es gibt jedoch auch Beispiele innerhalb der Selbsthilfe, bei denen sich sowohl
Selbsthilfegruppen als auch Einzelmitglieder von ihrer Selbsthilfegruppe oder –
organisation abgespalten haben und eigeninitiativ geworden sind. Sie waren der Be-
einflussung durch die Industrie überdrüssig (Spelsberg, 2006).
3.1 Zuordnung der Formen der Einflussnahme auf die untersuchten Indika- tionsbereiche Direkte Arzneimittel-Produktwerbung: Beeinflussende Arzneimittel-Publikationen:
Verbandszeitschriften, Web-Sites, Vorträge,
pharmagesponserte Referenten: DAlzG, DNB, BfO, dPV, DPB
Rekrutierung von Mitgliedern zur Studienteilnahme: Förderkreis-Gründung zwischen SHO und Pharmaindustrie: Verschlüsselte Arzneimittel-Werbung über Logo-Werbung: Logo-Werbung über prominente Leitfiguren: Pharmagesponserte Leitlinienerstellung der medizinischen Fachgesellschaften: Einbindung pharmagesponserter, wissenschaftlicher Meinungs- führer in medizinische Fachgesellschaften sowie in wissenschaft- liche Beiratstätigkeit von Selbsthilfeorganisationen: IV. Schlussbemerkung
Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe hat zweifelsohne eine entscheidende Funktion
und Stellung in der gesundheitlichen Versorgungslandschaft. Sie ist weit ausdifferen-
ziert in ihrem Leistungsspektrum. Dazu zählen medizinisch orientierte Dienstleistun-
gen wie auch politische Interessenvertretung. Sie kooperiert mit professionellen
Strukturen und erfährt durch das Mitspracherecht in den Gremien des G-BA Berater-
funktion und Einfluss auf Entscheidungen auf höchster politischer Ebene. Diese ge-
wollte politische und gesellschaftliche Aufwertung der Selbsthilfe sollte ihr einerseits
zu einer gesetzlich geregelten und gesicherten Finanzierung verhelfen und sie ande-
rerseits in die Verantwortung setzen, Transparenz nach „innen“ und „außen“ zu ge-
währleisten. Der Selbsthilfe kommt die Aufgabe zu, Transparenz innerhalb der
eigenen Strukturen zu schaffen, um einer innerverbandlichen Demokratieaushöhlung
(Schäffler, 2006) entgegenzuwirken. Bislang laufen Entscheidungen über Annahme
und Nutznießung von Pharmageldern in den Geschäftsleitungen der Selbsthilfeorga-
nisationen ab, die örtlichen Gruppenmitglieder sind darüber in den meisten Fällen
nicht informiert. Über eine Offenlegung ihrer Bezüge von Pharmageldern könnte für
sämtliche Mitglieder ein Awareness-Prozess initiiert werden, der sie im weiteren Ver-
lauf zu einer eigenen Entscheidungskompetenz befähigt. Diesen innerkommunikati-
ven Prozess innerhalb der Selbsthilfestruktur anzuregen ist somit eine ihrer zentralen
Eine weitere Verantwortung der Selbsthilfeorganisationen und –gruppen besteht dar-
in, Informationsquellen transparent zu machen. Sind Arzneimittel bezogene Publika-
tionen in Mitgliederzeitschriften und auf Websites pharmagesponsert, so ist es
Aufgabe der Leitung der Selbsthilfeorganisationen, dies für alle Leser sichtbar zu
machen. Nur so können Betroffene unabhängig über bestehende Therapieoptionen
informiert werden. Pharmawerbung muss als solche erkennbar sein und nicht unter
dem Deckmantel der Betroffenenberatung „verkauft“ werden. Vermischungen von
pharmagesponserter und objektiver Informationen sind irreführend, da der Absender
nicht eindeutig identifizierbar ist. Die gleiche Vorgehensweise ist bezüglich pharma-
gesponserter Mitglieder der wissenschaftlichen Beiräte und anderer Referenten auf
Vorträgen anzuwenden. Bestehende Verträge zur Industrie müssen durch diese vor-
her klar benannt werden und im Netz an gut zugänglicher Stelle dokumentiert sein.
Die Selbsthilfe steht weiterhin in der Verantwortung, Transparenz nach außen zu
schaffen, da – nach eigenen Aussagen - 20% der ihr zur Verfügung stehenden Mittel
von gesetzlich krankenversicherten Bürgerinnen und Bürger getragen werden. In
Fällen der Doppelfinanzierung konkreter Selbsthilfeaktivitäten wie beispielsweise
Broschüren, Veranstaltungen – durch die GKV und die Pharmaindustrie – geht die-
ses zu Lasten der Solidargemeinschaft. Ebenso im Falle einer Auflockerung des
Heilmittelwerbegesetzes. Die Kosten für teure Arzneimittel, medizinisch nicht indiziert
oder im „off-label-use“ angewandt, gehen zu Lasten der Solidargemeinschaft, die
damit therapeutisch unnötige Mehrkosten tragen muss.
Transparenz kann über eine Selbstverpflichtungserklärung geschaffen werden. Sie
hilft Abhängigkeiten zu erkennen und zu benennen und möglicherweise Begehrlich-
keiten zu widerstehen. Sie kann die Demokratie innerhalb der Selbsthilfe stärken und
dazu beitragen, beiden Seiten - der Selbsthilfe und der Pharmaindustrie - mehr
Rechtssicherheit geben und verhindern, dass sie sich dem Vorwurf der Korruption
V. Empfehlungen für die Optimierung von Qualität und Kommunika
1. Selbstverpflichtungserklärung
Es wird empfohlen, verbindliche Regeln zu entwickeln, die von der Selbsthilfe auf
allen Ebenen beachtet werden („Good Sponsoring Practice - GSP“). Diese Regeln
können z. B. die Form einer Selbstverpflichtungserklärung oder Leitlinie haben. Fol-
gende Aspekte sollten darin berücksichtigt werden:
Es sollten ethische Grundregeln vereinbart und schriftlich verankert werden.
Die Anonymität der Mitglieder ist zu wahren. Ihre Adressen sollten nicht ohne
ihre Einwilligung an Dritte weitergegeben werden.
Ziele über Angebote und Tätigkeiten in der Selbsthilfegruppe und –organisation
neutral ausgerichtet sein und unabhängig von der
Es sollten keine Arzneimittelproduktwerbung oder Arzneimittelempfehlungen in
Mitgliederzeitschriften und Internetauftritten, bei Vorträgen oder Kongressen der
Jeglicher Werbekontakt auf Patientenkongressen zwischen Herstellern ver-
schreibungspflichtiger Arzneimittel und Betroffenen sollte unterbleiben.
Arzneimittelpublikationen in Zeitschriften und im Internet sollten nicht aus-
schließlich mit den Leitlinien deutscher Fachgesellschaften übereinstimmen,
vielmehr sollte auch ein Abgleich mit Publikationen oder Stellungnahmen in-
dustrieunabhängiger Institutionen vorgenommen werden (z.B. BfArM, NICE,
Der Wissenschaftliche Beirat sollte seine Unabhängigkeit von der Industrie dar-
legen können. Beraterverträge sollten allgemein zugänglich gemacht werden.
Der Wissenschaftliche Beirat sollte die Zielvorstellungen seiner Tätigkeit in der
Pharmagesponserte Referenten sollten für Vorträge nur dann akzeptiert wer-
den, wenn vor der Zuhörerschaft eine Erklärung erfolgt bzw. dafür das Einver-
Es sollte keine verdeckte, pauschale oder personenbezogene Förderung erfol-
gen, ebenso wenig wie Sachleistungen durch die Pharmaindustrie.
Bei einer projektbezogenen Förderung durch die Pharmaindustrie sollten die
Inhalte und die Finanzierung offen gelegt werden, sowohl nach innen als auch
nach außen, z.B. auf der Homepage (gut zugänglich für Mitglieder und Interes-
Die Kontrolle über die Inhalte eines pharmageförderten Projektes sollte stets
Das Fortbestehen eines Selbsthilfeprojektes sollte auch bei Wegfall der Phar-
Serviceleistungen zur Medienentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Erstel-
len von Websites, Broschüren, Flyern etc.) sollten nicht über pharmafinanzierte
2. Monitoringstelle
Neben einer Selbstverpflichtung könnte zusätzlich eine unabhängige und neutrale
Monitoringstelle (Task-force) installiert werden, die sowohl Kontroll- wie auch Bera-
tungskompetenz ausübt. Handlungsbedarf für diese Einrichtung sollte dann ange-
zeigt sein, wenn intransparente Sponsoring-/Informationsaktionen oder
Einflussnahmen auf die Selbsthilfe durch Vertreter aus der Industrie (Pharmaherstel-
ler, Medizintechnik) oder der Ärzteschaft bekannt werden. Gleichzeitig könnte diese
Einrichtung auch Beraterfunktion im Hinblick auf das Abwickeln von Sponsoringver-
trägen für die Selbsthilfe übernehmen.
Die Finanzierung einer solchen Monitoringstelle könnte durch die öffentliche Hand
(BMG) und die GKV erfolgen. Die Arbeit dieser Einrichtung sollte innerhalb der
Selbsthilfe bekannt gemacht werden. Alle Selbsthilfeorganisationen/-gruppen, die
sich an einen entsprechenden (noch auszuhandelnden) Kodex zum Umgang mit
Sponsoring halten, sollten auf einer bei dieser Einrichtung angesiedelten Lis-
te/Homepage veröffentlicht werden. Sollte einer Selbsthilfeorganisation/-gruppe ein
unlauterer Umgang mit diesem Kodex nachgewiesen werden, soll die Nennung die-
ser Gruppe gestrichen werden. Insofern kann sich dieses Instrument als Referenzlis-
te für eine „Good Sponsoring Practice (GSP)“ entwickeln.
VI. Ausblick
1. Stärkung der Ressourcen
In eine kontinuierlich, verlässlich und einheitlich geregelte Förderpraxis durch die Öf-
fentliche Hand und die Krankenkassen sollten sukzessive auch die anderen Sozial-
versicherungsträger und die Private Krankenversicherung einbezogen werden. Auf
diese Weise wird die Selbsthilfe finanziell und inhaltlich gestärkt. Diese erkennbare
Aufwertung der Selbsthilfe wird zu ihrer existenziellen Sicherheit beitragen und vor-
aussichtlich die Empfänglichkeit für zusätzliche Finanzierungsquellen aus der Indust-
rie reduzieren, selbst wenn ein höherer Finanzbedarf auftritt.
2. Transparenz auf Nutzer- und Anbieterseite
Sowohl auf der Nutzer- als auch auf Anbieterseite sollte Transparenz etabliert wer-
auf Seiten der Selbsthilfe: Selbstverpflichtungserklärung über Mittelverwendung
auf Seiten der Öffentlichen Hand und der Sozialversicherungsträger: Verbind-
lichkeit und Transparenz bei der Mittelvergabe
auf Seiten der Industrie: Deklaration über Sponsoringverträge mit Selbsthilfe-
und Patientengruppen sowie Vertretern der Wissenschaft
auf Seiten der Wissenschaftlichen Beiräte: Offenlegung pharmagesponserter
Verträge bei Vorträgen und der Erstellung medizinischer Leitlinien
3. Verantwortlichkeit auf beiden Seiten
Politik und Sozialversicherungsträger sollten sich in der Verantwortung sehen, den
Selbsthilfegruppen und –organisationen eine Basisfinanzierung zu gewährleisten, die
den Bedarf nach Fremdfinanzierung niedrig hält und so ihre Unabhängigkeit stärkt.
Die Selbsthilfe ihrerseits trägt die Verantwortung für eine nachweisbare Unabhängig-
keit und für Transparenz über Finanzmittel etc. von der Industrie nach „innen“ und
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VIII. Anhang
Tabelle 1: Ausgaben in Millionen Euro für die Selbsthilfeförderung durch die Bundeslän- der, die Gesetzlichen Krankenkassen und die Deutsche Rentenversicherung Bund 1997 – 2005 Förderung der Selbsthilfe 1997-2005 Ministerien der Bundesländer 1 Gesetzliche Krankenversicherung Deutsche Rentenversicherung Bund 4
SHG = Selbsthilfegruppen, SHO = Selbsthilfeorganisationen, SHK = Selbsthilfekontaktstellen
1 NAKOS PAPER 5, 2-jährliche Befragung 2 BMGS: KJ1 3 NAKOS-Befragung von Selbsthilfekontaktstellen 4 Deutsche Rentenversicherung Bund (ehem. BfA) 5 Amtliche Statistik, KV 45/IV, Quartal Tabelle 2: Ergebnisse der Untersuchung Selbsthilfe- Mitglieder- Internet- Selbstverpflich- Interviews organisation Zeitschrift Auftritt schaftl. tungserklärung
2 Ergebnis: Direkte/indirekte Auftritte der Pharmaindustrie in den Mitgliederzeitschriften. Direkter Auftritt = Direktwerbung. Indirekter Auftritt: Publikationen über Pharmaprodukte. 3 Ergebnis: Indirekte Auftritte der Pharmaindustrie 4 Sponsoringbezüge der Wissenschaftlichen Beiratsmitglieder durch die Pharmaindustrie -werden erkennbar im Netz oder auf Vorträgen deklariert / -treten erst auf Nachfrage im
Influência das doenças periodontais sobre as cardiopatias coronarianas Tatiana Dalla Costa1Gilberto Ferreira da Silva Júnior2Marilisa Lugon Ferreira Terezan3 Resumo O presente estudo teve por objetivo realizar uma revisão da literatura referente à associação entre infecções dentárias, mais especificamente a doença periodontal, e as cardiopatias coronarianas, apresentando dados e
Practice Well: Suicide Risk and Suicide Prevention WILLIAM H. REID, MD, MPH This month’s column is about suicide, a clinical topic released on bond). There was no known history of involved in well over half the civil forensic matters I psychiatric diagnosis or treatment, but his wife con- review. I will discuss it clinically, because that’s the way firmed that he had shown increasin